Das Weltkulturerbe Psychonautik
Ein drogenpolitisches Manifest

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Vorwort

Dieses drogenpolitische Manifest wurde mit der Zielsetzung verfasst, die Riten der Psychonautik als immaterielles Weltkulturerbe dem Schutz der UNESCO zu unterstellen, wobei die politische Verantwortung für den Umgang mit psychotrop wirkenden Substanzen von der WHO weg hin zur UNESCO durch die UNO übertragen werden soll.

Der grundlegende Gedanke dabei ist, dass die Gebraucher psychotrop wirkender Substanzen nicht als krank angesehen werden dürfen, sondern als Nutzer dieser Substanzen zur Steigerung respektive Erweiterung ihrer Wahrnehmung. Dabei ist es völlig unerheblich, ob die Substanzen ausschließlich zur Erweiterung des Bewusstseins oder auch nur zur Steigerung des Wohlgefühls im Rahmen von Meditationen oder bei Tanz, Ekstase und andere Lustbarkeiten eingenommen werden.

Im Jahre 1952 definierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Sucht als einen »Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, die für das Individuum und für die Gesellschaft schädlich ist und hervorgerufen wird durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge«, wobei für das Vorliegen einer Sucht das unbezwingbare Verlangen zum fortgesetzten Konsum, Dosissteigerung und psychische und/oder physische Abhängigkeit als charakteristisch galten. Unter dieser Prämisse wurde die Drogenpolitik der WHO gestaltet.

Der Jurist Sebastian Scheerer stellt zu dieser Definition fest, dass sie vor allem unter dem Eindruck einer Besorgtheit über den Opiatkonsum zustande gekommen sei und dementsprechend auf die meisten anderen Substanzen nicht recht passte. »So wurden Kokain und Cannabis rechtlich als Suchtstoffe behandelt, obwohl sie die Definitionsmerkmale der Sucht gar nicht erfüllten. Auch die barbiturathaltigen Schlafmittel und die stimulierenden Amphetamine schienen in den fünfziger Jahren einerseits dringend einer intensiven Kontrolle zu bedürfen, andererseits aber nach dem damaligen Stand des Wissens keine Sucht zu verursachen.« Die WHO habe daher 1957 zusätzlich den Begriff der Gewöhnung eingeführt, um den aufgetretenen Widersprüchen und Irritationen entgegenzutreten. Doch auch dieser Schachzug sollte nicht alle Ungereimtheiten bei der Begriffswahl beseitigen, so dass man sich bei der WHO 1964 dazu entschloss, auf den Begriff der Sucht gänzlich zu verzichten und statt dessen von Abhängigkeit zu sprechen und zwar in ihrer Zweigliedrigkeit als psychische oder physische Abhängigkeit.

Man erkannte also bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert, dass die Säulen, auf denen die Drogenpolitik aufzubauen sei, auf wackligen Füßen stand und versuchte dann mit neuen Begriffsdefinitionen dieses Manko zu umschiffen. Doch auch die neue Kategorisierung löste zahlreiche Irritationen aus. So fragte man sich, warum die in ihrem Gebrauch fast ausschließlich auf den Jemen und Osten Afrikas beschränkte Khat-Pflanze als eigene Kategorie aufgenommen wurde; warum für die beiden Halluzinogene LSD und Cannabis gleich zwei getrennte Abhängigkeitskategorien eingerichtet wurden; und, nicht zuletzt, warum eigentlich Alltagsdrogen, wie etwa Nikotin oder Koffein, gar nicht erst thematisiert worden waren. Solche und ähnliche Fragen wurden von der WHO allerdings nicht erklärt, so dass zahlreiche Experten auf dem Gebiet der internationalen Drogenpolitik wohl zu recht konstatieren, alle Definitionen der WHO seien stets vom Leitmotiv geprägt gewesen, eine plausible Verbindung der vorherrschenden wissenschaftlichen Ansätze zur terminologischen Erklärung und Begründung der internationalen Suchtstoffabkommen herzustellen, da immer wieder neue Substanzen deren strengen Kontrollen unterworfen wurden. So musste der Suchtbegriff immer weiter und notwendigerweise auch immer vager gefasst werden. Offiziell wurde mit der Definition von 1964 die begriffliche Aufspaltung in psychische und physische Drogenabhängigkeit festgeschrieben und mit ihr ein substanzzentriertes Verständnis des Suchtbegriffs, der aber in seiner Präzisierung so undeutlich war, dass diese Definition wohl als eine strategische gedeutet werden muss, mit der »endlich der Weg frei war zur Einbeziehung aller irgendwie verdächtigen Stoffe in zukünftige Kontrollabkommen.«

Das hier vorliegende drogenpolitische Manifest zeigt einen realistischen Ansatz auf, wie dieses alte Dilemma überwunden werden kann.

 

Berlin, 4. Mai 2010
Hans Cousto

 

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