Kaffe und Tabak aus kultur- und Sozialgeschichtlicher Sicht

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2. Kurze Beschreibung der psychotropen Substanzen Kaffee und Tabak

2.1. Begriffserklärung Drogen und psychotrope Substanzen

Ein wichtiges Ziel dieser Arbeit ist die Schaffung eines Bewußtseins für Drogen und psychotrope Substanzen. Bei Kaffee und Tabak erscheint dies besonders wichtig, da beide in der Gesellschaft im allgemeinen gar nicht mehr als solche gesehen werden. Selbst die derzeit wohl bedeutendste Forscherin auf dem Gebiet der Kulturgeschichte des Kaffees schreibt: "Anfänglich wußten die Ärzte und Apotheker nicht, wie die neue Droge (als solche wurde die Kaffeebohne betrachtet)... ...einzuordnen sei" 10 *. Für eine Kaffeeforscherin ist dies aus drogengeschichtlicher Sicht ein Armutszeugnis, welches zeigt, wie wenig Bewußtsein in solchen Fragen vorhanden ist und wie weit sich der Kaffee in die Gesellschaft integrieren konnte. Betrachtet man die heutige Situation, ist dies allerdings auch kein Wunder, da in unserer Gesellschaft der Begriff Drogen gerade in der Alltagssprache sehr stark durch die vom Gesetzgeber vorgegebene rechtliche und begriffliche Situation determiniert ist. 11 * Danach sind die im Betäubungsmittelgesetz aufgelisteten Substanzen Drogen, während die legalen Substanzen als Genußmittel gesehen werden. Um jedoch deutlich zu machen, daß sowohl Kaffee als auch Tabak im Drogenkontext gesehen werden müssen, folgt nun eine Definition von Drogen bzw. von psychotropen Substanzen, die ausschließlich auf Eigenschaften und Wirkungen von Drogen basiert, wobei der Fakt hervorzuheben, daß in der Definition bewußt nicht auf Legalität oder Illegalität einer Substanz eingegangen wird:

"Unter dem Begriff »Drogen« lassen sich alle Substanzen verstehen, die dazu benutzt werden, einen veränderten Zustand des Bewußtseins oder der Körperempfindlichkeit und damit ein subjektiv verändertes Erleben von Wirklichkeit herbeizuführen. Verfremdung der Wahrnehmung, Verrückung des Bewußtseins, Eskamotage von Lebensproblemen, Erleichterung der Psyche, Weckung von Lebensgeistern, Stimulation des Erlebens, Regulierung von Körperfunktionen, Beruhigung von nervösen Zuständen, Stillung von Schmerzen – all diese Wirkungen können mittels der Einnahme von bestimmten Stoffen ausgelöst, verstärkt oder beschleunigt werden. Die Substanzen, die dafür in Betracht kommen, weisen in der Regel ein mehr oder minder großes Suchtpotential auf, d.h. sie machen (physisch oder psychisch) abhängig." 12 *

Auch in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich eine solche Auffassung durchgesetzt. Auch hier spielt für die Beschreibung des Begriffs "Droge" die Wirkung auf das Zentralnervensystem die entscheidende Rolle, also die psychotrope Wirkung resektive die Psychoaktivität:

"Drogen in diesem Sinne sind alle Stoffe, Mittel und Substanzen, die aufgrund ihrer chemischen Natur Strukturen oder Funktionen im lebenden Organismus verändern, wobei sich diese Veränderungen vor allem in den Sinnesempfindungen, in der Stimmungslage, im Bewußtsein und anderen psychischen Bereichen oder im Verhalten bemerkbar machen." 13 *

Daß diese Definition auch auf Kaffee und Tabak zutrifft wird jeder einsehen, der die beiden Stoffe kennt oder benutzt. Die nun folgenden Beschreibungen haben zum einen den Zweck, diese Aussage zu untermauern, und zum andern den Zweck, die Drogen vorzustellen, damit man weiß, wovon hier die Rede ist. Zudem sie haben noch weitreichendere Ziele im Kontext dieser historischen Arbeit.

Neben der Vorstellung und der Schaffung eines Bewußtseins für Drogen, geht der Autor grundsätzlich davon aus, daß die Wirkungsweise von Drogen entscheidend ist für die Nachfrage und den Konsum derselben. Noch interessanter wird dieser Gesichtspunkt vor dem Hintergrund der Frage, warum in bestimmten Zeiten bestimmte Drogen einen solch großen Erfolg hatten und regelrecht begrüßt wurden. Dabei spielen die geschichtlichen Umstände eine große Rolle. Wir werden also bei der Betrachtung der historischen Situation und deren Interpretation im Kontext der gesellschaftlichen Integration von Kaffee und Tabak nicht an den Wirkungen dieser Drogen vorbeikommen.

Da in diese Arbeit nicht nur der historischen Kontext untersucht und beschrieben wird, sondern auch in vergleichender Weise die Gegebenheiten in der heutigen Zeit analysiert werden, sind die Haupt- und Nebenwirkungen der Drogen als unveränderliches Kontinuum von Interesse, insbesondere bei der Hinterfragung, inwiefern die derzeitige Verbotssituation illegaler Drogen gerechtfertigt und sinnvoll ist. Dies gilt vor allem im Bezug auf individuelle und kollektive Schäden, die einerseits durch einen übermäßigen Drogenkonsum und andererseits durch ungünstige Rahmenbedingungen für den Konsum verursacht werden und somit auch im Bezug auf die Entwicklung von Strategien für eine effiziente und evidente Gesundheitsvorsorge. Die Drogenhaupt- und Nebenwirkungen sind nicht die einzigen Beweggründe zur Einführung und Durchsetzung von Verboten, Sanktionen und Gegenmaßnahmen innerhalb des vielschichtigen Kontextes menschlicher Kultur, sondern stellen nur einen Teil derselben dar. Deshalb wird dem anderen Teil, den kulturellen und gesellschaftlichen Hintergründen, in dieser Arbeit ebensoviel Aufmerksamkeit geschenkt wie den pharmakologischen Wirkungen der Drogen.

 


2.2. Beschreibung und Wirkungsweise des Kaffees


 
Abb. 1: Kaffeezweig, Stich aus Voyage de l'Arabie-Heureuse von Jean de la Roque, 1716

Kaffee ist ein psychoaktiv (psychotrop) wirkendes Produkt, das aus den Früchten des Kaffeestrauchs gewonnen wird. Dieser gehört zur Familie der Rötegewächse (Rubiaceae), die etwa 500 Gattungen mit 7.000 Arten umfaßt. Die Gattung der Kaffeepflanzen (Coffea) umfaßt nach heutiger botanischer Klassifikation etwa zehn unterschiedliche Arten, von denen vor allem zwei weltweit in den tropischen und subtropischen Zonen angebaut werden. Arabica Kaffee (Coffea arabica) ist die wirtschaftlich bedeutendeste Art der Gattung Kaffee (Coffea). Etwa 60% des Weltbedarfs an Kaffeebohnen stammen von Pflanzen der Sorte Arabica. Größere Bedeutung für den Weltmarkt hat zudem noch der Robusta-Kaffee (Coffea canephora). Etwa 36% des Weltkaffeebedarfs wird durch Kaffeebohnen der Sorte Robusta gedeckt. Im Gegensatz zur schneller wachsenden Sorte Robusta zeichnet sich die Sorte Arabica durch edleren Geschmack und einem geringeren Koffeingehalt aus. In Afrika spielt daneben noch die Art Coffea liberica eine Rolle. Als seltenste und teuerste Kaffeesorte der Welt gilt der indonesische Kopi Luwak: Schleichkatzen fressen Kaffeekirschen und scheiden Bohnen aus, deren Geschmackseigenschaften sich durch Fermentation im Darm der Tiere verändert haben.

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Kaffepflanzen liegt wahrscheinlich in Abessinien im Süden von Äthiopien. Auch im Sudan sind Wildpflanzen beobachtet worden. Heute ist der Kaffeeanbau in vielen tropischen Ländern rund um die Welt weit verbreitet und bildet insbesondere für die dortigen Entwicklungsländer einen wichtigen, mitunter den wichtigsten Wirtschaftsfaktor.

Der Kaffeestrauch ist mehrjährig, wird in Kulturen meist 2 bis 4 m, wildwachsend bis zu 10 m hoch, in einigen Gegenden sogar noch höher. Der Kaffeestrauch trägt eine dichte Belaubung und bildet weiße, sternförmige Blüten aus, die in Knäulen von 10-20 Stück in den Blattachseln wachsen, aus denen sich dann die roten Früchte, die sogenannten Kaffeekirschen bilden. Die Früchte enthalten in ihrem süßen Fruchtfleisch meist zwei Kerne (Kaffeebohnen) mit pergamentartiger Schale. Wird nur einer der Kerne ausgebildet, entsteht der rundbohnige "Perlkaffe" mit einem anderen Geschmacksprofil, das als edel und stark bezeichnet wird. Perlkaffe gilt als eine besonders geschmacksvolle Rarität. Etwa 5% der Früchte enthalten nicht zwei Kerne (Kaffeebohnen) sondern nur eine Perlkaffeebohne. Diese werden jedoch nicht in jedem Anbaugebiet aussortiert.

Beim arabischen Kaffeestrauch kann man erst im 4. Jahr nach der Pflanzung nennenswerte Erträge erwarten. Der Durchschnittsertrag eines 4-jährigen Kaffeestrauches liegt etwa bei 125 Gramm Kaffeebohnen, der eines 6-jährigen Kaffeestrauches bei etwa 500 bis 650 Gramm. Höchsterträge von bis zu 1.250 Gramm werden bei Sträuchern erzielt, die zwischen 10 und 15 Jahre alt sind. Mit zunehmenden Alter der Sträuche nimmt dann die Ertragsmenge dann zukzessive wieder ab. Die Sträuche werden 50 bis 60 Jahre alt, manchmal sogar in seltenen Fällen 100 Jahre und mehr.

Gute Kaffeebohnen erhält man nur aus ausgereiften Früchten, die an ihrer dunklen rotvioletten Farbe zu erkennen sind. Deshalb werden die Sträucher mehrfach zeitversetzt von Hand abgeerntet. Das selektive Pflücken wird im Wochenrhythmus wiederholt, bis alle Früchte abgeerntet sind. Die Früchte werden dann für die traditionelle Art der Aufbereitung (trockene Aufbereitung) drei bis vier Wochen lang in der Sonne getrocknet und dann zur Gewinnung der Bohnen geschält, wobei in einem Arbeitsgang das getrocknete Fruchtfleisch, die Pergamenthülle und das Silberhäutchen von der Kaffeebohne entfernt wird. Danach werden die Kaffeebohnen noch geröstet, da sich erst so das typische Aroma bildet, und dann werden die gerösteten Bohnen vor der Zubereitung des Getränks noch gemahlen. Der gemahlene Kaffee wird bei uns meist mit kochendem Wasser überbrüht. In Afrika und Skandinavien ist auch das Auskochen verbreitet. Das sich ergebende schwarze Getränk trinkt man entweder pur oder unter Zusatz von Milch und/oder Zucker. In Afrika kommt dabei auch Kardamon zum Einsatz.

In einigen arabischen Ländern, in denen ein trockenes und warmes Klima zur Erntezeit des Kaffees vorherrschend ist, läßt man die Früchte an den Ästen nicht nur ganz reif werden, sondern auch noch antrocknen. Die halb getrockneten Früchte werden dann auf Decken abgeschüttelt und der Sonne ausgesetzt, bis sie tocken genug sind, um auf traditioneller Art geschält und weiterverarbeitet zu werden. In regenreichen Gegenden werden die Früchte gleich nach der Ernte gewaschen und in Wasserbecken oder Schwemmkanälen vorsortiert. Die sauberen und nach Größe und Reifegrad vorsortierten Früchte werden dann maschinell gepulpt, das heißt die Pulpe (das Fruchtmark, das Fruchtfleisch) wird von den harten Kernen abgequetscht und separiert, so daß die Bohnen mit Silberhäutchen und Pergamenthülle und von einer dünnen schleimigen Schicht aus Pulpe umgeben übrig bleiben. In diesem Zustand werden die Kaffeebohnen in einem Fermentationsbecken zur Gärung gebracht, wobei die Gärung durch Enzyme in der dünnen Schleimschicht aus Pulpe auf der Pergamenthaut in Gang gesetzt wird. Nach der Gärung, die meistens innerhalb eines Tages abgeschlossen ist, haben sich die Schleimreste von der Pergamenthaut gelöst und sind deshalb gut abwaschbar. Deshalb werden die Kaffeebohnen gleich nach der Gärung gewaschen, danach getrocknet und geschält, um dann in der Folge geröstet, gemahlen, mit heißem Wasser übergossen und schließlich getrunken zu werden.

Nicht nur im europäischen Raum wird Kaffee täglich mehrmals von einem Großteil der Bevölkerung als stimulierendes und wachmachendes Getränk konsumiert. Kaffee ist das weltweit am häufigsten konsumierte Getränk mit anregender Wirkung. Der Kaffeestrauch gehört somit aufgrund der psychotropen Wirkung seiner Samen zu den wichtigsten Kulturpflanzen überhaupt.

Für die anregende Wirkung des Kaffees ist hauptsächlich das Purinalkaloid Koffein verantwortlich, das in gerösteten Kaffeebohnen zu ca. 1% enthalten ist. In grünen, ungerösteten Bohnen beträgt der Koffeingehalt bis zu 3%. Außer in den Samen des Kaffeestrauches ist Koffein in Kolanüssen, Kakaobohnen, in den Früchten der Guaranapflanze, in den Blättern des Teestrauches und des Matestrauches und in etwa 60 weiteren Pflanzen enthalten. Koffein ist die weltweit am häufigsten konsumierte pharmakologisch aktive Substanz und ist eines der ältesten, wirksamsten und am besten verträglichen Stimulazien.

Außer Koffein enthalten die Kaffeebohnen in geringeren Konzentrationen auch die pharmakologisch wirksamen Substanzen Theobromin (Hauptwirkstoff des Kakaos) und Theophyllin, die beide wie Koffein zur Gruppe der Purinalkaloide gehören. Theobromin, das auch in der Kolanuß enthalten ist, wirkt mild und dauerhaft anregend und stimmungsaufhellend. Zudem hat Theobromin eine antitussive Wirkung, das heißt, Hustenreiz wird unterdrückt und Hustenanfälle gelindert. Theophyllin, das auch in geringer Menge in Teeblättern vorkommt, wird therapeutisch gegen Bronchialasthma eingesetzt, steigert in geringem Umfang die Herzleistung und wirkt zudem harntreibend. Außerdem enthalten die Bohnen 5,5 – 7,6% Chlorogensäure, deren Gehalt sich durch das Rösten auf 10% des ursprünglichen Wertes verringert. Der Säuregehalt ist für eine Reihe körperlicher Nebenwirkungen beim Konsum von hohen Kaffeedosierungen mitverantwortlich, so für Irritationen und für Unwohlsein bei am Magen empfindlichen Personen. Zudem hat Chlorgensäure eine harntreibende Wirkung.

Kaffee wirkt vor allem stimulierend, beschleunigt den Herzschlag und regt zudem die Schweißbildung an. Ab einer gewissen, individuell stark unterschiedlich großen Dosis, fördert Kaffee die geistigen Fähigkeiten und das Konzentrationsvermögen, steigert die allgemeine Leistungsfähigkeit und führt zu leicht euphorischen Anwandlungen. Überdies verbessert Kaffee oft die Herzleistung und fördert die Urinausscheidung. Zu hohen Dosierungen haben jedoch häufig Herzrasen, Schweißausbrüche, Gliederzittern, Wahrnehmungsstörungen, Nervosität und Schlafstörungen zur Folge.


 
Abb. 2: Ausschnitt aus dem Titelkupferstich von Traitez Nouvaux & Curieux du Café, du Thé & du Chocolat von Philippe Sylvestre Dufour, 1685

Verantwortlich für die Hauptwirkungen des Kaffees ist, wie schon erwähnt, das Purinalkaloid Koffein, welches erregend auf das Zentralnervensystem wirkt, indem es das Enzym Phosphodiesterase hemmt, das für den Abbau von zyclischem Adenosinmonophosphat (cAMP) verantwortlich ist. In der Folge kommt es zu einem Anstieg von cAMP in den Zellen und die von cAMP verursachte Adrenalinausschüttung hält länger an. So verlängert Koffein die Dauer der Adrenalinwirkung und dadurch treten die oben beschriebenen Auswirkungen ein. Durch eine Gefäßerweiterung im Gehirn wird die Müdigkeit verscheucht und die Wahrnehmung geschärft.

Bei starken Überdosierungen von Koffein kann es zu einer akuten Vergiftung kommen mit der Folge von Krämpfen, Durchfällen und rauschartigen Erregungszuständen. 14 * Die für den Menschen tödliche Einzeldosis liegt bei etwa 10 Gramm Koffein, was etwa der Menge von 100 Tassen starken Kaffees entspricht. Aus den USA werden immer wieder Fälle von Koffeinsucht gemeldet. Zum sogenannten Koffeinismus kommt es, wenn täglich mehr als 1,5 bis 1,8 Gramm Koffein aufgenommen werden. Es gab (und gibt) immer wieder Menschen, die bis zu 50 Tassen starken Kaffees am Tag zu sich nahmen, wie beispielsweise der französische Dichter Voltaire.

Extremer Mißbrauch und Suchtentwicklung kommen nur sehr selten vor, auch wenn unumstritten ist, daß Koffein bei exzessivem Konsum zu Toleranzbildung und Entzugssymptomen führt. 15 * Durch die enthaltene Chlorogensäure kann es beim Dauerkonsum in großen Mengen zu einem sauren Magen mit Sodbrennen und eventuell folgenden Magengeschwüren kommen. Dennoch gilt Kaffee als eine der harmlosesten Drogen, wie umfangreichen Forschungen zu den akuten Wirkungen des Koffeins und den Langzeiteffekten von Kaffee im allgemeinen immer wieder bestätigen.

Die medizinische Wirksamkeit des Kaffees kommt bei Herzschwäche, Neuralgien, Kopfschmerzen, Asthma und Heuschnupfen zur Anwendung. Auch in der Homöopathie kennt man eine Zubereitung aus Kaffee. Nebenbei gilt Kaffee auch noch als Antidot bei Vergiftungen und Überdosierungen von Alkohol 16 *, Nikotin, Morphin und THC.

Kaffee ist eine legale Substanz, die fast überall auf der Welt im Lebensmittelhandel erhältlich ist. 17 *

 


2.3. Beschreibung und Wirkungsweise des Tabaks


 
Abb. 3: Tabakspflanze, Holzschnitt aus Tabernaemontanus, 1731

Tabak (Nicotiana) ist eine Pflanzengattung aus der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae), zu der auch die Tomate, die Kartoffel und die Tollkirsche gehören. Die Pflanzengattung Nicotiana umfaßt etwa 65 Arten. Gemeinsames Merkmal der Tabakpflanzen ist das Alkaloid Nikotin, das Tabakpflanzen in ihren Wurzeln produzieren. Wenn die Pflanzen größer werden, wandert das Nikotin von den Wurzeln in die Blätter.

Tabak ist eine krautige Pflanze. Die zwittrigen Blüten sind fünfzählig. Die fünf Kronblätter sind zu einer Röhre verwachsen. Es werden Kapselfrüchte gebildet, die zahlreiche Samen enthalten.

Als Nutzpflanze haben nur zwei Arten wirtschaftliche Bedeutung, die zahlreiche Varietäten bilden und aus denen viele verschiedene Sorten gezüchtet wurden. Die verbreitetste Art ist der Virginische Tabak (Nicotiana tabacum), zu der nahezu alle heute angebauten Sorten gehören. Vereinzelt wird außerdem noch Bauern-Tabak (Nicotiana rustica) angebaut. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ziertabak-Arten und -Sorten, wie beispielsweise den bis zu 1,7 m hohen, nachts stark duftenden Wald-Tabak (Nicotiana sylvestris) mit anmutigen langen weißen Blütenröhren oder die vielen Sorten in verschiedenen Farben des Ziertabaks Nicotiana Sandrae.

Der Tabak, der heute angebaut wird, ist eine reine Kulturpflanze, die durch Kreuzung entstand. In Mittel- und Südamerika kultivierte man ihn schon lange vor der Entdeckung durch die Europäer.

Der Tabak stellte in der Neuen Welt eines der bedeutsamsten psychoaktiven Gewächse dar und wurde selbst religiös als Pflanze der Götter verehrt. Die seit dieser Zeit bezeugten Anwendungen reichen von Ritualen als Kontaktaufnahme mit der Welt der Götter über den Gebrauch als Genußmittel bis hin zu verschiedensten Heilanwendungen. Dabei nutzten die verschiedenen Kulturkreise die unterschiedlichsten Darreichungsformen. So wurden die Tabakblätter an der Nordküste Südamerikas meistens in Verbindung mit Kalk gekaut und auf den karibischen Inseln pflegte man vor allem ein Puder mit etwa 50% Tabakanteil zu schnupfen. In Brasilien, Zentralamerika und auf den karibische Inseln wurden zusammengerollte kleine (getrochnete) Tabakblätter, die von großen Tabakblättern umwickelt waren, wie Zigaretten geraucht und in Mexiko rauchte man den zerkleinerter Tabak in Schilfröhrchen. Das Wort Tabak stammt wahrscheinlich von den Antillen, wo das Rauchrohr "tobago" genannt wurde.

Mit der Entdeckung Amerikas durch europäische Seefahrer gelangte der Tabak in ein völlig anderes kulturelles Umfeld. In der Folge verbreitete sich der Tabakgenuß in allen Kontinente der Erde. Der Tabak gehört heute zu den weltweit meistverwendeten psychotropen Genußmitteln.

Die Tabakpflanze ist einjährig, ein staudenartiges, bis zu zwei Meter hohes Kraut, das große, länglich- elliptische Blätter ausbildet. Die Blüten sind glockentrichterförmig und rosa gefärbt. Die ehemals im tropischen Gebiet von Südamerika heimische Pflanze hat sich hervorragend an gemäßigte, trockene und warme wie auch an subtropische Klimazonen angepaßt und wird heute in allen Teilen der Welt angebaut. Auch in Deutschland gibt es industriell genutzte Tabakpflanzungen.

Die Freilandsaat von Tabak ist nicht üblich, das heißt, die Aussaat erfolgt nicht direkt auf dem Feld, sondern in gesonderten Saatbeeten zur Setzlingsanzucht. Dabei werden die Setzlinge, wenn sie vier Blättchen gebildet haben, nach etwa zwei Wochen auf größere Beete in etwa fünf Zentimeter Abstand umgepflanzt (pikiert) und nach weiteren vier bis sechs Wochen, wenn die Pflanzen etwa ein Dutzend Blättchen gebildet haben, auf das Feld ausgepflanzt. Nach mehreren Pflegeschritten wie Hacken, Häufeln, Köpfen (Entfernen der Blütenstände) und Geizen (Entfernen der Seitentriebe) kann drei Monate später mit der Ernte begonnen werden. Die Ernte erfolgt bei trockenem Wetter für Zigarrengut beim Gelbfleckig- und Kleberigwerden der Blätter, für Pfeifen- und Zigarettengut beim Einrollen der Blattränder respektive beim Goldgelbwerden der Blätter. Die Ernte erfolgt in mehreren Phasen. Beim Vorbruch werden die untersten drei bis vier zum Teil wertlosen Bodenblätter (Grumpen, Erdgut) und die vier bis fünf nach oben folgenden sogenannten Standblätter abgeerntet. Nach zwei bis drei Wochen werden dann die nächsten vier bis acht Blätter (Mittel-, Bestgut) geerntet. Die übrigen Blätter am oberen Teil des Stengels (Fett-, Obergut) werden nach weiteren zwei bis drei Wochen abgenommen.

Als Rohdroge dienen ausschließlich die Blätter der Tabakpflanze. Grundsätzlich werden sie nach der Ernte getrocknet und in der Folge meistens fermentiert und je nach weiterer Verwendung behandelt. Für die Nutzung zur Herstellung von Zigaretten und Zigarren werden die Tabakblätter in speziellen Trockenräumen langsam bei relativ hoher Luftfeuchtigkeit getrocknet. Nach etwa zwei Monaten, wenn die bräunlich gelben Tabakblätter noch so elastisch sind, daß sie sich nach Faltung ohne Brüche wieder entfalten, werden sie abgehängt, in Haufen aufgeschichtet und einer Gärung (Fermentation) unterworfen. Die natürlich einsetzende Fermentation (ohne Zusatz von Fremdstoffen), bei der der gestapelte Rohtabak durch Selbsterhitzung fermentiert, dauert lange (bis zu einem halben Jahr). Bei der Fermentation werden Eiweiße durch Enzyme abgebaut. Dadurch wird das Aroma des Tabaks beim Rauchen verbessert, da brennende Eiweiße eher stinken als gut riechen.

Pfeifentabak wird meistens unter Luftabschluß in Fässern fermentiert. Bei der Fermentation wird der Nikotingehalt des Tabaks vermindert, bei gestapelten Tabakblättern um etwa 30%, in Fässern sogar um etwa 50%. Insbesondere bei letzterer Rauchanwendung, aber auch bei allen anderen kann der Tabak vor der Trocknung mit verschiedenen Zusätzen wie beispielsweise Fruchtsäften, Zuckerlösungen, Gewürzen, Salzen und Farbstoffen versetzt werden, um ein angestrebtes Aroma oder eine bestimmte Farbe zu erhalten.

Heute wird Tabak oft maschinell vollautomatisch in Industrieanlagen getrocknet und fermentiert, so daß der Tabak bereits wenige Tage nach der Ernte weiterverarbeitet werden kann. Dies gilt vor allem für die stark zuckerhaltigen hellen Virginiasorten, die als Fülltabak für Zigaretten- und Pfeifentabak angebaut werden. Sie werden im Schnellverfahren heißluftgetrocknet und können somit innerhalb einer Woche nach der Ernte verarbeitet werden. Der mit Hilfe von Röhren (engl. "flue") getrocknete Tabak wird auch als Flue-Cured Virgina (FCV) bezeichnet. Fermentiert wird der Tabak dann im sogenannten Kammerverfahren, wobei der Tabak etwa zehn Tage bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 80 - 95 % einer Temperatur von 40° - 60° ausgesetzt wird. Dabei bleibt der Tabak sauer und der Nikotingehalt vermindert sich kaum.

Die in Europa typische Einnahmeform ist das Rauchen als Zigarette, die entwicklungsgeschichtlich jüngste Rauchform. Zu Beginn des Aufkommens des Tabaks in Europa rauchte man ihn in der Pfeife, seit dem 19. Jahrhundert auch als Zigarre. Diese Arten des Rauchens sind heutzutage weit weniger verbreitet als früher, da sich in einer schnelllebigen Zeit die Konsumformen stark an der schnellen und unkomplizierten Verfügbarkeit orientieren. Im europäischen Kulurraum gibt es darüber hinaus noch die Konsumform des Schnupfens und des Kauens. In anderen Teilen der Welt sind daneben noch das Tabaklecken oder -lutschen, Tabakessen und das Tabaktrinken 18 * bekannt. 19 *

Der wichtigste psychotrop wirksame Inhaltsstoff des Tabaks ist das Nikotin. Tabak wirkt in kleinen Dosierungen geistig anregend und stimulierend, körperlich hingegen entspannend und beruhigend. Zudem unterdrückt Tabak das Hungergefühl. Tabak kann sowohl erregend als auch lähmend wirken. In höheren Dosierungen kommt es leicht zu Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Schwindelgefühl. Allerdings hängen diese Erscheinungen sowohl stark von der Dosis als auch von der Gewöhnung des Rauchenden ab. Chronische Raucher überleben problemlos Tabakmengen, die für andere tödlich wären. Die Nebenwirkungen bei hohen Dosierungen gehen bis hin zu Delirien mit Halluzinationen und Tod durch Atemlähmung. Zu einem großen Teil hängen die auftretenden Nebenwirkungen bei chronischen Rauchern nicht unmittelbar mit den psychotropen Wirkstoffen zusammen, sondern mit dem im Rauch enthaltenen Teer und Kondensat. Folgen sind Krebs, Lungenleiden, Kehlkopfprobleme und Durchblutungsstörungen. Die Gesundheitsschäden durch den Tabakgenuß sind vielfältig und weitreichend. In der Literatur finden sich eingehende Beschreibungen hierzu. 20 *

Man geht bei der Einschätzung der Gefährlichkeit des Tabaks von jährlich etwa 140.000 Todesfällen durch den Tabakkonsum in Deutschland aus. 21 *

Der Hauptwirkstoff Nikotin, ein Pyrrolidinalkaloid, hat in geringen Dosierungen eine stimulierende Wirkungen und verhält sich im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark), in den Nervenknoten (Ganglien) des vegetativen Nervensystems (Sympathikus und Parasympathikus) und an den motorischen Endplatten (Übertragungsort der Erregung von einer Nervenzelle auf die Muskelfaser) ähnlich wie der Neurotransmitter Acetylcholin. Nikotin regt nämlich wie auch der Neurotransmitter Acetycholin die sogenannten nikotinergen Acetylcholinreszeptoren an, indem es an diesen Rezeptoren andockt. Bei hohen Dosierungen besetzt Nikotin nahezu alle nikotinergen Acetylcholinrezeptoren der Ganglien des vegetativen Nervensystems und blockiert so lebenswichtige Signalübertragungen, was eine Ausschaltung des gesamten vegetativen Nervensystems bewirkt und Atemlähmung, Herzstillstand und Tod zur Folge hat. 22 *

Nikotin wird im Körper schnell abgebaut. Nikotin wird im Körper nicht akkumuliert, das heißt, ein Dauerkonsum von geringen Mengen führt nicht zu einer chronischen Nikotinvergiftung. Der Konsum von Nikotin ist deshalb nicht unmittelbar schädlich, weil sich Nikotin schnell im Körper verteilt und schnell wieder abgebaut wird. Für ein Kleinkind kann aber bereits das Verschlucken einer Zigarette tödlich sein. Die tödliche Dosis für einen erwachsenen Menschen liegt bei etwa 1 mg/kg Körpergewicht.

Nikotin gilt heute allgemein und anerkannt als stark "suchterzeugend", das heißt, es hat ein äußerst hohes Abhängigkeitspotential. Ob es selbst, wie oft angenommen, krebserzeugend wirkt, ist immer noch ungewiß.

Neben dem Nikotin enthält Tabak eine Menge anderer Substanzen, bis heute wurden schon mehrere Tausend nachgewiesen, darunter weitere Alkaloide, Cumarine, Amine, Flavone und viele andere, die aufzuzählen diese Arbeit und ihr Ziel sprengen würde.

Tabak als Naturprodukt und in seine bekannten Verarbeitungsformen sind auf der ganzen Welt (außer im Königreich Bhutan) für erwachsene Personen frei erhältlich. Für Kinder und Jugendliche gibt es in vielen Ländern jedoch Einschränkungen (Jugendschutz). Allerdings muß in Europa die Verpackung von Tabakprodukten, die als Rauchwaren vermarktet werden, mit Warnhinweisen zur potentiellen Gesundheitsgefährdung durch den Konsum versehen sein. An zahlreichen, meist öffentlichen Plätzen gibt es auch Rauchverbote. Dies sind derzeit jedoch die einzigen Einschränkungenl, die gesetzlich verordnet wurden. Nikotin als Reinsubstanz ist in Deutschland nicht als Betäubungsmittel, sondern als Arzneimittel klassifiziert. Nikotin unterliegt jedoch der Gefahrstoffverordnung. 23 *

 


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10
Heise, Ulla: Coffeana, Leipzig 1988, S. 144
11
Scheerer (Hrsg.): Drogen und Drogenpolitik, Frankfurt/M. 1989, S. 6
12
Renggli, René; Tanner, Jakob: Das Drogenproblem, Berlin 1994, S. 8
13
Scheerer (Hrsg.): Drogen und Drogenpolitik, Frankfurt/M. 1989, S. 5 f.
14
Scheerer (Hrsg.): Drogen und Drogenpolitik, Frankfurt/M. 1989, S. 174 f.
Rätsch, Christian: Encyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau 1998, S. 173 ff.
15
Scheerer (Hrsg.): Drogen und Drogenpolitik, Frankfurt/M. 1989, S. 186
16
Die Wirkung des Kaffees gegen alkoholbedingte Beeinträchtigungen wird durch empirische Forschungen in Frage gestellt und hauptsächlich auf das subjektive Erleben der Leistungsverbesserung und Euphorisierung zurückgeführt. Scheerer (Hrsg.): Drogen und Drogenpolitik, Frankfurt/M. 1989, S. 185
17
Rätsch, C: Encyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau 1998, S. 173 ff., als Grundquelle des Textes
18
nicht zu verwechseln mit der Bezeichnung "Tabak trinken" für das Rauchen der Tabakblätter in der frühen Kolonialzeit, als man in Europa diesen Begriff respektive diese Konsumart noch nicht kannte
19
Kulturhistorisch-ethnologischer Abriß über den Gebrauch von Tabak, in: G. Völker (Hrsg): Rausch und Realität, Köln 1981, Bd. I, S. 211 f.
20
z.B. Scheerer (Hrsg.): Drogen und Drogenpolitik, Frankfurt/M. 1989, S. 129 ff.
21
Internet: http://www.ilka.org
22
Artikel Nikotin, in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 8. Dezember 2006, 12:52 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Nikotin&oldid=24843146 (Abgerufen: 11. Dezember 2006, 11:44 UTC)
23
Rätsch, Christian: Encyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau 1998, S. 380 ff. als Grundquelle des Textes