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1.7.5 Deskriptive Feststellungen

Rein deskriptive Feststellungen zur Substanzabhängigkeit respektive zum Suchtproblem findet man im DRUGLEX bei den Stichworten Morphin und Opiate. Da sie in der Vergangenheitsform vermittelt werden, haben sie eher historischen Charakter und regen kaum zu einem offensiven Risikomanagement an.

Unter dem Stichwort Opiate findet man lediglich einen Hinweis, daß das Opiumrauchen in China im 17. Jahrhundert zu großen Suchtproblemen führte und unter dem Stichwort Morphin die Feststellung, daß im deutsch-französischen Krieg 1870-1871 erstmals Morphin bei der Behandlung Verwundeter eingesetzt wurde und viele dadurch morphinabhängig wurden. Ein Bezug zur gegenwärtigen Situation sucht man bei beiden Stichworten vergeblich.

 

1.7.6 Deterministische Feststellungen

Deterministische 39 * Feststellungen deuten keinen Freiraum für eigenes Handeln an und haben einen eher fatalistischen 40 * Charakter. Sie wirken zwar bedrohlich, animieren aber nicht zu einem selbstbestimmten Handeln. Bei den Beruhigungsmitteln, bei den Schlafmitteln und beim Opiat Heroin – sie alle sollen gemäß DRUGLEX eine Abhängigkeit erzeugen – findet man jeweils eine deterministische Feststellung bezüglich der Entstehung der Abhängigkeit, die sowohl psychischer als auch physischer Natur sein kann. Auch bei Speed (Amphetamin) und bei den Appetitzüglern (zumeist Amphetamine), die eine psychische Abhängigkeit hervorrufen können, wird das Verhältnis Droge zu Abhängigkeit durch deterministische Feststellungen veranschaulicht.

Beruhigungsmittel und Schlafmittel sind gemäß DRUGLEX Medikamente, deren längerer Gebrauch eine körperliche Abhängigkeit erzeugen. Dies wird ohne wenn und aber postuliert. Das heißt, nach einem längeren Gebrauch stelle sich zwangsläufig eine körperliche Abhängigkeit ein. Heroin jedoch sei unabhängig von der Konsumform suchterzeugend, zudem sei es das wirksamste suchterzeugende Mittel. Hier wird postuliert, daß die Entstehung der Sucht in der Drogenwirkung selbst angesiedelt sei und alle Komponenten der Rahmenbedingungen (Set und Setting) werden hier völlig ausgeblendet.

Bei den Appetitzüglern und bei Speed wird die suchterzeugende respektive die süchtigmachende Eigenschaft der Substanz auf die stimulierende Wirkung derselben zurückgeführt. Daraus folgt nach dem Prinzip der Logik, das alles, was eine stimulierende Wirkung hat, suchterzeugend wirkt! Auch hier werden alle Rahmenbedingungen im DRUGLEX völlig ausgeblendet und die Suchtkomponente ausschließlich auf die Wirkung der Substanz bezogen. Die Tatsache, daß es zahlreiche Menschen gibt, die fähig zu einem nutzvollen Umgang mit diesen Substanzen sind, wird überhaupt nicht erwähnt.

 

1.7.7 Substanzen und die Art der Abhängigkeitsbeschreibung

Die folgende Tabelle II "Substanzen und die Art der Abhängigkeitsbeschreibung" zeigt die Zuordnung der einzelnen Substanzen respektive Substanzgruppen zu den verschiedenen Beschreibungsarten der Abhängigkeitsklassifizierungen (Schlüsselbegriffe).

Tabelle II: Substanzen und die Art der Abhängigkeitsbeschreibung
Kein Hinweis auf Abhängigkeitspotential Antidepressiva
Codein
Ecstasy
Kath
Psychopharmaka
Sedativa
"kann" – Formulierung Alkohol
Barbituraten
Cannabis
Crack
Freebase
Guarana (Koffein)
Gefahrenhinweis / Risikohinweis Analgetika
Crystal
Kokain
Hinweis auf hohes Abhängigkeitspotential Nikotin
Deskriptive Feststellung Morphin
Opiate
Deterministische Feststellung Appetitzügler
Beruhigungsmittel
Heroin
Schlafmittel
Speed

 

Die Tabelle II ermöglicht eine rasche Analyse der im DRUGLEX vorgenommenen Gewichtung der Hinweise zum Abhängigkeitspotential einzelner Substanzen respektive Substanzgruppen. Mit Hilfe von Tabelle I können ebenso rasch die zugehörigen Textbausteine miteinander verglichen werden.

Beispielsweise findet man unter dem Stichwort Appetitzügler die deterministische Feststellung, daß diese suchtbildend seien, wobei ihre stimulierende Wirkung als Begründung angegeben wird. Analog findet man unter dem Stichwort Speed im Abschnitt Amphetamin die deterministische Feststellung, daß die stimulierende Wirkung des Amphetamins süchtigmachend sei. Nach Kenntnisnahme der oben aufgeführten Feststellung, daß eine stimulierende Wirkung suchtbildend sei, ist es vom Standpunkt der Vernunft her überhaupt nicht nachvollziehbar, daß eine stimmungsaufhellende und antriebssteigernde Wirkung einer anderen Substanzgruppe, der Antidepressiva, nicht als suchtbildend klassifiziert wird, obwohl der Begriff antriebssteigernd ein Synonym des Begriffs stimulierend ist. So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die vorgenommene Klassifikation der Abhängigkeitspotentiale im DRUGLEX teilweise nicht nach wissenschaftlichen Kriterien, sondern völlig willkürlich erfolgte. Zumindest scheint dies im Fall der antriebssteigernd wirkenden Antidepressiva und der anregend und aufputschend wirkenden Psychopharmaka die einzig mögliche Erklärung für das Weglassen eines Hinweises bezüglich ihres Abhängigkeitspotentials zu sein.

 

1.8 Der Begriff Sucht und seine Funktion

Obwohl der Begriff Sucht im DRUGLEX als wissenschaftlich überholt beschrieben wird, findet man bei den Beschreibungen der Substanzwirkungen mehrere Wortbildungen, die den offiziell zugunsten des Begriffs Abhängigkeit aufgegebenen Begriff Sucht enthalten, wie der folgenden Tabelle III rasch entnommen werden kann.

Tabelle III: Substanzen und die Suchterzeugung
Amphetamin: Appetitzügler suchterzeugend
Amphetamin: Speed Suchtgefahr
süchtigmachend
Opiate: Heroin suchterzeugend
Opiate: Opiate allgemein Suchtproblem

 

Heroin verkörpert für viele Krankheit, Sucht, Elend und Tod. Heroin wird von ebenso vielen sofort mit den Begriffen Rauschgift oder Droge in Verbindung gebracht. Im Volksmund mag es vielleicht auch legitim sein, Heroin als suchterzeugend zu bezeichnen, obwohl die Sucht nicht von der Substanz selbst erzeugt wird, sondern der Mensch macht sich abhängig von der Substanz. Deshalb sollte man auch nur vom Suchtpotential oder besser vom Abhängigkeitspotential einer Substanz sprechen, jedoch nicht von deren Suchterzeugung.

Die Zahl der problematischen Opiatkonsumenten, daß heißt der Konsumenten mit intravenösem Konsum oder hoher Konsumfrequenz wird in Deutschland auf ca. 150.000 bis ca. 200.000 geschätzt, die Gesamtzahl der aktuellen Opiatkonsumenten auf ca. 300.000. Knapp 2/3 dieser Opiatkonsumenten müssen als abhängig eingestuft werden und jeder Dritte der Abhängigen (ca. 60.000) befindet sich in einem regulären Substitutionsprogramm (jeder Fünfte oder 20% aller aktuellen Opiatkonsumenten). Bei den geschätzten 600.000 bis 800.000 Amphetaminkonsumenten liegt der Anteil derjenigen, die mit der Hauptdiagnose Amphetaminabhängigkeit für sich eine Beratung oder Behandlung in Anspruch nehmen, deutlich unter einem Prozent der aktuellen Konsumenten. Das Abhängigkeitspotential von Amphetamin ist demzufolge um ein Vielfaches niedriger einzustufen als dasjenige von Heroin. Trotz dieser Tatsache werden im DRUGLEX sowohl Amphetamin (Appetitzügler, Speed) als auch die Opiate (Heroin) gleichermaßen ohne weitere Unterscheidung als suchterzeugend respektive süchtigmachend beschriebenn. Die Charakteristik dieser Art der Substanzbeschreibungen ist wahrlich kaum geeignet, den Lesern reelles Drogenwissen zu vermitteln, jedoch eignet sich eine solch unausgewogene Art der Beschreibung sehr wohl zur Implementierung (Einführung) neuer Drogenmythen.

 

1.9 Der Begriff Suchtmittel

Eine Substanz ist etwas Stoffliches, woraus etwas besteht, das heißt, daß man unter Substanz den chemischen Grundbestand versteht, also die naturwissenschaftlich begründete, zweckfreie Aussage über die chemische Zusammensetzung eines Stoffes. Ein Mittel ist etwas, was die Erreichung eines Zieles ermöglicht; das bedeutet, daß ein Mittel etwas ist, was zur Erreichung eines Zweckes dient.

Substanz ist die zweckfreie Aussage über etwas (z.B. einen Stoff), ein Mittel ist die soziale oder die individuelle Interpretation des Zwecks der Substanz beziehungsweise des Zwecks der Einnahme der Substanz. Schreibt man also einer Substanz einen bestimmten Zweck zu, so wird die Substanz zum Mittel.

Ein ähnliches Verhältnis existiert in der Pharmakologie und in der Toxikologie zwischen den Begriffen Stoff und Arzneimittel. Gemäß Arzneimittelgesetz sind Stoffe: "1. Chemische Elemente und chemische Verbindungen sowie deren natürlich vorkommende Gemische und Lösungen, 2. Pflanzen, Planzenteile und Pflanzenbestandteile in bearbeitetem und unbearbeitetem Zustand, 3. Tierkörper, auch lebende Tiere, sowie Körperteile, -bestandteile und Stoffwechselprodukte von Mensch und Tier in bearbeitetem und unbearbeitetem Zustand, 4. Mikroorganismen einschließlich Viren sowie deren Bestandteile oder Stoffwechselprodukte."

Die nächste Kategorie ist sodann der immer noch neutral definierte Begriff des Wirkstoffes, der lediglich bestimmt, daß Stoffe nach der Aufnahme in den Organismus Wirkungen entfalten, wobei die Art der Wirkung und deren Bedeutung für die Gesundheit ohne belang sind. Mit dem Zusatz Arznei werden Stoffe zu Arzneistoffen, die dann "zur Anwendung in bzw. am Menschen oder Tier geeignet sind oder durch das Werturteil: nützlich für Mensch und Tier, charakterisiert sind." Arzneistoffe werden zu Arzneimitteln dadurch, daß sie "dazu bestimmt sind, Krankheiten bei Mensch und Tier zu heilen, zu lindern, zu erkennen oder zu verhindern." Der Stoff wird durch seine konkrete Zweckbestimmung zum Mittel.

Suchtstoffe sind demzufolge Stoffe, die nach der Aufnahme in den Organismus eine Sucht auslösen können und Suchtmittel sind nach den gegebenen Begriffsdefinitionen Mittel, die dazu bestimmt sind und mit der Absicht eingenommen werden, eine Sucht auszulösen oder zu erzeugen. Da jedoch kaum jemand eine Substanz einnimmt, um süchtig zu werden, ist die Sucht für den Konsumenten nicht das Ziel oder der Zweck der Einnahme und deshalb ist der Begriff Suchtmittel (als Mittel zur Sucht) hier völlig fehl am Platz. Die zweifache Verwendung dieses Begriffes im Text zur Definition des Wortes "Abhängigkeit" im DRUGLEX zeigt nicht nur das ausgesprochen schwache Sprachgefühl der Autoren auf, sondern muß im Hinblick auf die Tatsache, daß dieser Begriff zwar mit dem Konsum und der Abhängigkeit (negativ zu bewertende Positionen) in Verbindung gebracht wird, jedoch nicht mit dem Absetzen der Droge (positiv zu bewertende Position), als tendenziös bezeichnet werden. Wie an vielen anderen Stellen im DRUGLEX mangelt es auch hier an klaren Begriffsdefinitionen.

 

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39
Determinismus: Lehre von der kausalen [Vor]bestimmheit alles Geschehens; die der Willensfreiheit widersprechende Lehre von der Bestimmung des Willens durch innere oder äußere Ursachen. Deterministisch: den Determinismus betreffend; [Willens]freiheit verneinend.
40
Fatal: verhängnisvoll, peinlich. Das Adjektiv fatal wurde im 16. Jahrhundert aus lateinisch fatalis (vom Schicksal bestimmt, verderbenbringend) entlehnt, das von lateinisch fatum (schicksalsspruch) abgeleitet ist. Fatalist: wer sich dem Schicksal ausgeliefert fühlt. Fatalistisch: vom Schicksalsglauben geprägt.