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1.6 Sucht und Abhängigkeit im DRUGLEX

Unter dem Begriff Sucht findet man im DRUGLEX folgenden Eintrag: Der Begriff "Sucht" ist ein wissenschaftlich überholter, da unscharfer Begriff. Er wurde 1964 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugunsten des Begriffs "Abhängigkeit" aufgegeben.

Die Feststellung, daß der Begriff Sucht von der WHO wegen seiner "Unschärfe" aufgegeben wurde, ist irreführend und entspricht nicht den Tatsachen. Tatsache ist, wie im Abschnitt 1.2 Sucht (Definition gemäß WHO) nachgelesen werden kann, daß der Begriff Sucht für die politischen Anliegen der WHO zu scharf umrissene Definitionsmerkmale aufwies und terminologisch die Begründung der intensiven Kontrollmechanismen der WHO nicht abdeckte, da beispielsweise Cannabis rechtlich als Suchtstoff behandelt wurde, obwohl Cannabis die definitorischen Kriterien der Sucht gar nicht erfüllte. Deshalb entschloß sich die WHO, den aufgetretenen Widersprüchen entgegenzutreten und die Ungereimtheiten durch eine neue Begriffswahl zu beseitigen. Der ersatzweise neu eingeführte Begriff Abhängigkeit hatte bei weitem nicht so ein präzises und scharf abgegrenztes Definitionsfeld wie der Begriff Sucht und legitimierte zumindest auf der definitorischen Ebene die Einbeziehung von neuen Substanzen, die im klassischen Sinn keine Sucht hervorrufen, in zurkünftige Kontrollabkommen. Der Begriff Sucht wurde wegen seiner "Schärfe" und nicht wegen seiner "Unschärfe" aufgegeben.

Unter dem Begriff Abhängigkeit findet man im DRUGLEX folgenden Eintrag: Man kann zwischen einer körperlichen und einer psychischen Abhängigkeit unterscheiden. Wenn jemand körperlich von einem Suchtmittel abhängig ist, hat sich meist schon vorher eine psychische Abhängigkeit entwickelt.

Eine körperliche Abhängigkeit besteht dann, wenn nach mehrfachem regelmäßigem Konsum eines Suchtmittels (v.a. von Alkohol, Beruhigungs-, Schmerz- und Schlafmitteln sowie Opiaten und opiatähnlichen Stoffen) der Körper sich an die Wirkung gewöhnt hat und eine körperliche Toleranz gegenüber der Droge entstanden ist.

Dies hat zur Folge, daß der Konsument zunehmend größere Mengen davon benötigt, um die erwünschte psychische und/oder physische Wirkung zu erzeugen. Ein plötzliches Absetzen der Droge bringt den Stoffwechsel des Organismus in Unordnung, wobei Entzugserscheinungen auftreten.

Eine psychische (seelische) Abhängigkeit beinhaltet ein unwiderstehliches, maßloses Verlangen nach der weiteren Einnahme der Droge, um Unlustgefühle zu vermindern und Wohlgefühle herzustellen. Psychische Abhängigkeit ist besonders schwer zu überwinden. Die Entzugserscheinungen sind v.a. Unruhe, Depression und Angstzustände.

Ausschließlich psychisch abhängig kann man von Halluzinogenen, Cannabis, Speed und Kokain werden. Die beiden letztgenannten können besonders stark abhängig machen.

Die begriffliche Aufspaltung des Phänomens der Drogenabhängigkeit in eine körperliche und eine psychische Abhängigkeit wurzelt in einem substanzzentrierten Verständnis der Dinge und ist nicht mit den Erkenntnissen aus dem Bereich der psychosomatischen Medizin in Einklang zu bringen. Mit dem Begriff psychosomatisch (griechisch Psyche = Seele, Soma = Körper) wird der enge Zusammenhang zwischen körperlichem und seelischem Erleben beschrieben. Das intuitive Wissen um die Wechselwirkungen zwischen körperlichen und seelischen Prozessen drückt sich in vielen Redewendungen aus: sich den Kopf zerbrechen, zu Herzen gehen, unter die Haut fahren usw.. Aufgrund der Verbindungen zwischen dem Gehirn und den einzelnen Organen über Nervenbahnen und Signalstoffe (Neurotransmitter) ist es also "normal", daß unsere Gefühle und Gedanken (angenehme wie unangenehme) einen Einfluß auf die Organe haben und umgekehrt. Auf der Ebene der Biochemie gibt es überhaupt keine Trennung (keinen Unterschied) zwischen körperlichen und seelischen Prozessen! So wird z.B. die Produktion von Magensäure und das Zusammenziehen der Darmmuskulatur durch Streß gesteigert und die Stimmungslage durch den Genuß verschiedener Nahrungsmittel beeinflußt. Mann kann nicht nicht-psychosomatisch reagieren – psychosomatische Reaktionen sind völlig natürliche Reaktionen des menschlichen Organismus. 11 *

Die Autoren von DRUGLEX definieren zwar körperliche Abhängigkeit und psychische (seelische) Abhängigkeit unter dem Stichwort Abhängigkeit gemäß den Vorgaben der ICD-10-Richtlinien und geben körperliche Toleranz und Entzugserscheinungen als Merkmale einer körperlichen Abhängigkeit an. Zudem wird getreu den ICD-10-Richtlinien hervorgehoben, daß man von Cannabis, Halluzinogenen, Kokain und Speed ausschließlich psychisch abhängig werden kann. Einzig die Verwendung des Begriffs Entzugserscheinungen bei der Definition der psychischen Abhängigkeit entspricht nicht den ICD-10-Richtlinien.

Unter dem Stichwort Drogenabhängigkeit steht im DRUGLEX die folgende Definition von Drogenabhängigkeit: Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Drogenabhängigkeit "ein Zustand psychischer und körperlicher Abhängigkeit von einer Substanz mit zentralnervöser Wirkung, die zeitweise oder fortgesetzt eingenommen wird." Gemäß dieser im DRUGLEX gegebenen Definition kann eine psychische Abhängigkeit von beispielsweise Amphetamin oder Kokain nicht als Drogenabhängigkeit bezeichnet werden, da diese Drogen gemäß DRUGLEX körperlich nicht abhängig machen können (was unter dem Stichwort Drogenabhängigkeit explizit nochmals betont wird) und zur Drogenabhängigkeit gemäß oben stehender Definition sowohl eine physische als auch eine psychische Komponente gehören. Diese logische Schlußfolgerung aus den Angaben im DRUGLEX ist vor allem für die jüngeren Leserinnen und Leser 12 * befremdlich und verwirrend. Ältere Leserinnen und Leser, vor allem jene, die sich bereits zuvor in der Fachliteratur sachkundig gemacht haben, bemerken natürlich recht schnell, daß hier einfach ein "Druckfehler" vorliegt und es im Text richtig heißen muß: ein Zustand psychischer oder körperlicher Abhängigkeit statt fälschlicherweise ein Zustand psychischer und körperlicher Abhängigkeit.

Unter dem Stichwort Crystal = Methamphetamin (Methamphetamin wird auch als Yaba, Perlik, Piko, Crank, Speed, Crystal Speed oder Ice bezeichnet) steht unter anderem: Bei häufigem Gebrauch wird die Wirkungsdauer kürzer, und es entsteht eine rasche Toleranzentwicklung. Ein paar Zeilen weiter kann man dann hierzu noch folgendes Lesen: Hinzu kommt, daß sich der Körper – ebenso wie bei Speed und Kokain – sehr schnell an Methamphetamin gewöhnt. Die Dosis muß dann erhöht werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Die Merkmale der Toleranzentwicklung, der körperlichen Gewöhnung und der dadurch bedingten Erhöhung der Dosis sind charakteristisch für eine körperliche Abhängigkeit. Dies ist auch unmißverständlich im DRUGLEX unter dem Stichwort Abhängigkeit kurz und bündig dargelegt. Offensichtlich unlogisch und völlig verwirrend erscheint dann die in demselben Absatz nachfolgende Erklärung: Zwar macht Methamphetamin nicht körperlich abhängig, aber den "Teufelskreis" einer psychischen Abhängigkeit zu durchbrechen, ist noch viel schwieriger.

Die unter dem Stichwort Crystal gemachten Angaben stehen zweifelsfrei eindeutig im Widerspruch zu den unter dem Stichwort Abhängigkeit aufgeführten Definitionen der körperlichen Abhängigkeit und der psychischen Abhängigkeit. Jeder, der die Texte zu Abhängigkeit und Crystal aufmerksam gelesen hat und logisch denken kann, kann sofort erkennen, daß die Autoren vom DRUGLEX äußerst schludrig gearbeitet haben. Die gegebenen Informationen lösen aufgrund ihrer eklatanten Widersprüchlichkeit bei vielen jungen Leserinnen und Leser vermutlich mehr Verwirrung aus als daß sie einen Beitrag zur Wissensvermittlung zu leisten vermögen.

Im DRUGLEX wird in vielen Abhandlungen zu einzelnen Substanzen oder Substanzgruppen auf die Gefahr einer Abhängigkeit hingewiesen, wobei fast durchgehend zwischen physischer Abhängigkeit und psychischer Abhängigkeit unterschieden wird. Dabei wird die Gefahr einer Abhängigkeit stets nur in Bezug zur Substanz respektive zur Substanzgruppe gesetzt, weitere Faktoren wie die individuelle Prädisposition oder die sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen, die ebenso ausschlaggebend für die Entwicklung einer Abhängigkeit sind, werden jedoch völlig außer acht gelassen. Dabei hat jede Form der Abhängigkeit, wie man unter dem Stichwort Kokain nachlesen kann, eine dominante psychische Komponente.

 

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Häuser, W. (1995): Gesundheit und Krankheit im Spiegel der Jahrhunderte. Psychosomatische Medizin, in: Die Große Bertelsmann Lexikothek, Band Mensch und Gesundheit, S. 166-174
Der Begriff psychosomatik wurde von Johann Christian August Heinroth, Professor der Medizin in Leipzig, im Jahre 1818 in der Medizin eingeführt. Vergl.: J.Ch. Heinroth (1818): Lehrbuch der Störungen des Seelenlebens oder der Seelenstörungen und ihre Behandlung - Vom rationalen Standpunkt aus entwo rfen, Teil II; Leipzig
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Gemäß Drogen- und Suchtbericht 2002 der Drogenbeauftragten der Bundesregierung (Seite 36) lag das Durchschnittsalter der Besucher von www.drugcom.de bei 20 Jahren, 21% waren unter 16 Jahre alt, 24% 15 bis 18 Jahre, 18% 19 bis 21 Jahre und somit insgesamt 63% jünger als 22 Jahre alt.