DrogenGenussKultur |
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1. Sucht und AbhängigkeitDie Begriffe Sucht und Abhängigkeit werden häufig synonym angewandt, obwohl
Sucht ein veralteter medizinischer Fachbegriff ist, der eigentlich nur noch in der Umgangssprache
Verwendung findet. 1
1.1 Der Begriff SuchtDer Begriff der Sucht stammt von dem alten germanischen Adjektiv siech
(krank) beziehungsweise dem Verb siechen (krank sein) ab. Im 15. Jahrhundert wurde der Begriff
siech von dem Wort krank abgelöst und siech wurde besonders für den ansteckenden Zustand der
Aussätzigen (Leprakranken) gebraucht, weshalb siech und siechen nicht nur eine Wortsippe mit
Sucht bilden, sondern auch mit dem Wort Seuche 3 Die Trunksucht betrachtete man bis ins 18. Jahrhundert als Laster oder verkorkste Leidenschaft. Erst im Jahre 1784, als der einflußreiche Mediziner und Sozialforscher Benjamin Rush den Alkoholismus in seiner Untersuchung über die Wirkungen des Branntweins auf den menschlichen Körper und Geist als Krankheit definierte, erhielt der Begriff Sucht seine heutige Bedeutung: krankhafte Abhängigkeit. Sprachgeschichtlich wurde die Trunksucht damit zur Brücke für einen generellen Bedeutungswandel des Wortes Sucht, denn nicht nur weitere extreme Erscheinungsformen des Drogenkonsums wurden in der Folge als Sucht bezeichnet, sondern auch zunehmend andere durch übermäßig starkes Verlangen geprägte Verhaltensformen: Eifersucht, Sehnsucht, Herrschsucht, Spielsucht, Sexsucht, Fernsehsucht, Konsumsucht, Arbeitssucht und andere mehr. Der Begriff Sucht ist im gesellschaftlichen Diskurs negativ besetzt. Besonders
deutlich kann man das an Begriffsbildungen wie Geldsucht, Gewinnsucht, Rachsucht, Ruhmsucht
oder Zanksucht erkennen, die alle für moralisch verwerfliche Eigenschaften stehen. Kaum eine
Assoziation zu diesen Begriffen ist frei von Abneigung und Abscheu. Begriffe wie Drogensucht
und weit mehr noch Rauschgiftsucht sind für nicht wenige hierzulande die verbale Verkörperung
eines bedrohlichen Schreckgespenstes, das einer Sturmflut gleich die liebgewordenen traditionellen
Werte der eigenen leibhaftigen Kultur hinwegfegt und wie eine Welle über die abendländische
Zivilisation hinwegrollt und in der Folge nur Krankheit, Elend und Tod zurückläßt. Verkörperung
dieses einst über Jahre hinweg in den Medien kolportierten Szenarios seien willensschwache,
haltlose und selbstzerstörerische Drogensüchtige und asoziale, verwahrloste, verkommen und
gemeingefährliche Rauschgiftsüchtige. 4 Heute werden mitunter Substanzen als Suchtstoffe oder Suchtgifte bezeichnet, die im klassischen Sinn des Begriffes Sucht überhaupt kein Suchtpotential haben. Die Klassifizierung dieser Substanzen klingt somit gefährlicher als der Umgang mit denselben ist. Zur Kontrolle und vor allem zur Verhinderung des Umgangs mit Suchtstoffen und anderen psychotropen Substanzen haben die Vereinten Nationen eine Suchtstoffkommission, ein Suchtstoffkontrollamt und ein Suchtstoffkontrollprogramm geschaffen.
1.2 Sucht (Definition gemäß WHO)Im Jahre 1952 definierte die WHO Sucht als einen "Zustand periodischer oder
chronischer Intoxikation, die für das Individuum und für die Gesellschaft schädlich ist und
hervorgerufen wird durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge",
wobei für das Vorliegen einer Sucht das unbezwingbare Verlangen zum fortgesetzten Konsum, Dosissteigerung
und psychische und/oder physische Abhängigkeit als charakteristisch galten. 5 Der Jurist Sebastian Scheerer stellt zu dieser Definition fest, daß sie vor
allem unter dem Eindruck einer Besorgtheit über den Opiatkonsum zustandegekommen sei und dementsprechend
auf die meisten anderen Substanzen nicht recht paßte. "So wurden Kokain und Cannabis rechtlich als Suchtstoffe
behandelt, obwohl sie die Definitionsmerkmale der Sucht gar nicht erfüllten. Auch die barbiturathaltigen
Schlafmittel und die stimulierenden Amphetamine schienen in den fünfziger Jahren einerseits dringend
einer intensiven Kontrolle zu bedürfen, andererseits aber nach dem damaligen Stand des Wissens
keine Sucht zu verursachen." Die WHO habe daher 1957 zusätzlich den Begriff der Gewöhnung eingeführt,
um den aufgetretenen Widersprüchen und Irritationen entgegenzutreten. Doch auch dieser Schachzug
sollte nicht alle Ungereimtheiten bei der Begriffswahl beseitigen, so daß man sich bei der WHO
1964 dazu entschloß, auf den Begriff der Sucht gänzlich zu verzichten und statt dessen von Abhängigkeit
zu sprechen und zwar in ihrer Zweigliedrigkeit als psychische oder physische Abhängigkeit. 6 Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Sucht 1957 folgendermaßen definiert: Sucht ist "ein Zustand periodischer oder chronischer Vergiftung, hervorgerufen durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge und ist gekennzeichnet durch vier Kriterien:
1.3 Drogenabhängigkeit (Definition gemäß WHO)Drogenabhängigkeit wurde 1964 definiert als "ein Zustand, der sich aus der
wiederholten Einnahme einer Droge ergibt, wobei die Einnahme periodisch oder kontinuierlich erfolgen
kann. Ihre Charakteristika variieren in Abhängigkeit von der benutzten Droge [...]" 7
Auch diese Kategorisierung löste zahlreiche Irritationen aus. So fragte man sich, warum
die in ihrem Gebrauch fast ausschließlich auf den Jemen und Osten Afrikas beschränkte Khat-Pflanze als
eigene Kategorie aufgenommen wurde; warum für die beiden Halluzinogene LSD und Cannabis gleich zwei getrennte
Abhängigkeitskategorien eingerichtet wurden; und, nicht zuletzt, warum eigentlich Alltagsdrogen, wie etwa
Nikotin oder Koffein, gar nicht erst thematisiert worden waren. Solche und ähnliche Fragen wurden von der
WHO allerdings nicht erklärt, so daß zahlreiche Experten auf dem Gebiet der internationalen Drogenpolitik
wie Sebastian Scheerer wohl zu recht konstatieren, alle Definitionen der WHO seien stets vom Leitmotiv geprägt
gewesen, eine plausible Verbindung der vorherrschenden wissenschaftlichen Ansätze zur terminologischen Erklärung
und Begründung der internationalen Suchtstoffabkommen herzustellen, da immer wieder neue Substanzen deren
strengen Kontrollen unterworfen wurden. So mußte der Suchtbegriff immer weiter und notwendigerweise auch
immer vager gefaßt werden. Offiziell wurde mit der Definition von 1964 die begriffliche Aufspaltung in psychische
und physische Drogenabhängigkeit festgeschrieben und mit ihr ein substanzzentriertes Verständnis des Suchtbegriffs,
der aber in seiner Präzisierung so undeutlich war, daß diese Definition wohl als eine strategische gedeutet
werden muß, mit der "endlich der Weg frei war zur Einbeziehung aller irgendwie verdächtigen Stoffe in
zukünftige Kontrollabkommen." 8
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