Impressionen aus der Technokultur
zu Drug, Set und Setting in Berlin

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4. Beobachtungen aus dem Umfeld des heutigen Partylebens

Gute Klubs in Berlin haben heute fast durchgängig gemischt ethnische Crews an der Tür: Deutsche, Türken, Kurden und manchmal auch noch Schwarze. Dies bietet Gewähr für einen friedlichen Ablauf der Veranstaltung.

 

4.1. Frust, Rivalitäten und Gewalt

Durch den zunehmenden Frust im Ostteil der Stadt haben die extrem rechten Gruppierungen derzeit wieder mehr Zulauf und die Belästigungen und Übergriffe aus diesen Kreisen sind wieder deutlich am zunehmen. Alkoholisierte Methamphetamin-Freaks (Methamphetamin gilt als Hitlers Wunderdroge) müssen sich beweisen, daß ihre Droge besser sei als die Yuppie-Droge Kokain und darum riskieren die Konsumenten der letzteren, wenn sie nach der Party in einen dicken BMW oder Mercedes auf dem Parkplatz einsteigen, von den zuerst Genannten eins aufs Maul zu kriegen.

 

4.2. Behörden, Drogenkonsummuster und die Realität

Der bei der BZgA als PDF-Datei abgelegte Bericht zu den Drogenkonsummustern in der Techno-Party-Szene und deren Veränderung in längsschnittlicher Perspektive (Blaue Reihe Band 14) von Peter Tossmann, Susan Boldt und Marc Tensil, der nicht einmal zwischen Amphetamin und Methamphetamin unterscheidet, wirkt, obwohl erst im Jahr 2001 veröffentlicht, antiquiert und hat mit der heutigen Situation in Berlin recht wenig zu tun.

Da das Mißtrauen gegenüber so ziemlich allen behördlich unterstützten Institutionen bei den ganz jungen Leuten in den Szenen wesentlich größer ist als vor einem halben Jahrzehnt, wird es wohl auch wesentlich schwieriger sein, über die genauen Ausmaße und Formen der neueren Konsumtrends richtige Informationen zu bekommen als in den letzten Jahren. In den 90er Jahren wurden viele Chancen zu einer gesellschaftlichen Integration subkultureller Strömungen verpaßt, die Offenheit, wie sie noch Mitte der 90er Jahre gegeben war, wurde zu oft mißbraucht, Szeneaktivisten hintergangen und getäuscht, so daß die Ausgangssituation für Forschung und "Prävention" heute eine völlig andere ist als seinerzeit.

Generell nimmt derzeit in weiten Kreisen der Frust zu und es wird weniger gefeiert. Ein Getriebensein und eine Suche ohne Perspektive fündig zu werden macht sich immer mehr bemerkbar. Entsprechend haben sich die Konsummuster geändert. Es werden vermehrt dissoziative Drogen (Ketamin, GHB), massiv mehr Fluchtdrogen (Alkohol, Opiate, Psychopharmaka) und auch signifikant mehr Leistungsdrogen (Amphetamin, Methamphetamin, Kokain) konsumiert, jedoch deutlich weniger Psychedelika (LSD, Pilze, Ecstasy). Cannabisprodukte sind nach wie vor beliebt und werden in nahezu allen Kreisen im Umfeld der Partyszenen gerne konsumiert.

 

4.3. Sabbat in Berlin

Am Sabbat, 1. Dezember 2001, wurde die Welt durch entsetzliche Bilder aus dem Herzen der Hauptstadt Deutschlands aufgeschreckt. Diese Bilder zeigten Wasserwerfer der Polizei, die vor der Neuen Synagoge betende Juden und Anti-Nazi-Demonstranten wegspritzten, Tränengasbomben der Polizei, die mitten in die Gruppe der jüdischen Gläubigen einschlugen und einen Rabbi, der völlig durchnäßt bei Eiseskälte auf der Straße saß.

Das Vorgehen der Polizei hat in weiten Kreisen der Technoszene Bestürzung und Betroffenheit ausgelöst und nicht wenige schämten sich danach, Berlinerin oder Berliner zu sein.

Seit Wochen hatte es Proteste aus dem In- und Ausland gegeben. Die Berliner Innenverwaltung, so der Vorwurf, habe ohne jeglichen politischen Instinkt einen Marsch von Neonazis durch das jüdische Scheunenviertel genehmigt. Doch in Wirklichkeit hatten sich die Anmelder der Demonstration und die Innenverwaltung bereits am 6. November auf eine Route außerhalb dieses Viertels zum Nordbahnhof geeinigt. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hielt es nicht für nötig, die Jüdische Gemeinde darüber zu informieren, daß der NPD-Aufmarsch nicht durch ihr Viertel ziehen werde. Dafür mußte sich der Innensenator nicht nur von der Opposition heftige Kritik anhören, sondern auch der Justizsenator Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) äußerte Unverständnis darüber, daß Körting die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt habe.

Daß die Polizei die Gegendemonstranten nicht zur Wehrmachtsausstellung durchlassen wollte und sie ausgerechnet vor der Neuen Synagoge stoppte, ist selbst für den Innenexperten der Grünen, Volker Ratzmann, nicht nachvollziehbar und löste bei vielen in der Stadt Empörung aus. Aber auch die Innenexpertin der PDS, Marion Seelig, kritisierte den martialischen Polizeieinsatz vor der Synagoge als unverhältnismäßig. Gegenüber den Neonazis verhielt sich die Polizei wesentlich zurückhaltender. Obwohl die Rechten nach der offiziellen Beendigung der Demonstration am Nordbahnhof alle drei Strophen des Deutschlandliedes sangen (nur die dritte ist erlaubt) und lang und lauthals die in Deutschland verbotene Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" skandierten, ließ die Polizei die Demonstranten gewähren.

Vor allem Raver, die anläßlich der Pro-Fuckparade-Kundgebung "für Demonstrationsfreiheit und freie Wahl der (friedlichen) Mittel" am 14. Juli 2001 stundenlang in Polizeigewahrsam genommen wurden, nur weil sie ein tragbares Radiogerät mit sich führten, konnten die Taktik und die Vorgehensweise der Polizei überhaupt nicht verstehen und schon gar nicht akzeptieren. Aber auch Raver, die sich bisher nicht politisch engagierten, brachten an zahlreichen Diskussionen am Wochenende ihre Empörung zum Ausdruck und bekundeten ihre Wut. Einige schämten sich für ihre Stadt und ihr Land.

Die Stimmung an den Parties der folgenden Nächte war vielerorts merklich getrübt. Das Bedürfnis, sich zu betäuben, war größer als sonst. Einmal mehr verging einigen die Lust am Feiern in Berlin.

 

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