Drogenkompetenz und Drogenmündigkeit
Psychonauten im Untergrund

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7. Drogenkompetenz und Drogenmündigkeit

Drogenkompetenz erlangt man nicht nur durch Aneignung von Fachwissen über die Wirkungsweisen verschiedener Substanzen, sondern vor allem durch die Einbindung dieses Wissens in die Gestaltung der eigenen Konsummuster zur Heraus- und Weiterbildung der individuellen Genußkultur. Ohne diesen Lernprozeß und ohne ausgeprägte Kultur des Genießens, das heißt ohne Drogenkompetenz, ist ein unproblematischer Konsum verschiedenster psychoaktiver Substanzen auf Dauer kaum oder gar nicht realisierbar. Der erste Schritt zur Erlangung dieser Drogenkompetenz ist die Aneignung von Fachwissen über psychoaktive Substanzen.

Die öffentlich geschürte Angst vor psychoaktiven Substanzen sitzt tief verankert im Bewußtsein vieler potentieller und praktizierender Drogengebraucher und ist somit oftmals ein nicht unbedeutender negativer Faktor im persönlichen Set. Diese Angst steht diametral dem unabdingbaren Wunsch gegenüber, mittels psychoaktiver Substanzen transzendentale Bewußtseinserfahrungen zu erleben. Es sind also nicht so sehr medizinische Gründe, die die Angst vor diesen Substanzen verursachen, sondern vielmehr die von der Gesellschaft auf das Individuum übertragene Angst, daß bei der Durchbrechung des Seelenpanzers Inhalte zum Vorschein kommen könnten, die unbekannt, respektive unvertraut sind und die das Bewährte und Selbstverständliche im eigenen Selbst in Frage stellen könnten. 6 * Der Ursprung dieses Angstszenarios liegt in der Tatsache begründet, daß mit dem Gebrauch von Rauschmitteln Bewußtseinszustände so verändert werden können, daß durch Variationen des bewußten Erlebens neue Einblicke in nicht alltägliche Wirklichkeiten und damit in andere Dimensionen von Erfahrungen eröffnet werden. 7 * Die Suche nach diesen Risikofaktoren im oben bezeichneten Bereich und die Versuche ihrer Vermeidung gehören mit zum Pflichtprogramm zur Erlangung von Drogenkompetenz. Hierbei spielt die Reflexion persönlicher Drogenerfahrungen eine zentrale Rolle.

Erfahrungen aus der Technokultur belegen, daß Technoparties ein äußerst beliebtes und oft genutztes Setting für die Einnahme psychoaktiver Substanzen sind. Dies liegt einerseits an der intensiven Gruppendynamik, die sich auf einem Dancefloor entwickelt und in der man sich geradezu laben kann, anderseits am Gefühl der Geborgenheit, das durch das gemeinsames Erleben ekstatischer Zustände vermittelt wird. Störungen in dem subtilen Gefüge des Partysettings können nachhaltige negative Auswirkungen auf einzelne an der Party teilnehmenden Personen verursachen, wobei es hierbei völlig belanglos ist, ob die Personen im Augenblick der Störung nüchtern oder unter Einwirkung bestimmter Drogen sind. Dies liegt in der Tatsache begründet, daß Menschen, die sich über Stunden hinweg in Trance und Ekstase (hinein) tanzen, äußerst sensibel und verletzlich sind. Das heißt, daß präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Störungen im Kontext von Technoparties nicht nur im Wohlergehen von Drogengebrauchern begründet sind, sondern zum Wohl aller getroffen werden müssen. 8 *

Das Problem besteht nun aber darin, daß ein solcher kollektiver genußorientierter Drogenkonsum gemeinsam erlernt werden muß und daß eben dieser Lernprozeß unter den Bedingungen der Illegalität deutlich erschwert wird. Illegalität und Strafverfolgung sabotieren die Herausund Weiterbildung von soziokulturellen Regelwerken zur Erlangung von Drogenkompetenz, zerstören systematisch Konsumentengemeinschaften und verhindern nicht selten die Weitergaben von Erfahrungswissen. Zur Erlangung von Drogenkompetenz und Drogenmündigkeit gehört somit nicht nur das Studium von Drug, Set und Setting, sondern vor allem auch politische Arbeit und Engagement in Hinblick auf eine Neuregelung der Drogengesetzgebung, um den Drogenkonsum frei von Repression und gesellschaftlich integriert so unproblematisch wie möglich gestalten zu können, da die Art und das Ausmaß der Probleme, die aus verschiedenen Konsummustern entstehen können, vor allem auch vom Grad der Integration von Drogen in der Gesellschaft abhängig sind. Je informierter und offener mit Drogen und Drogenkonsum umgegangen wird, desto eher können informelle Reaktionen im Konsumenten- und Freundeskreis, in der Familie oder am Arbeitsplatz greifen und vor den potentiell immer möglichen negativen Auswirkungen von Drogenkonsum bewahren. 9 *

 

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6
Daniel Leu (1984): Drogen. Sucht oder Genuß, 3. überarbeitete Auflage, Basel, S. 117 f.
7
Gundula Barsch (1994): Drogen machen Angst, in: Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) e.V. (Hg.): Sucht macht Angst. Dokumentation 16. Bundesdrogenkongreß, Geesthacht, S. 34.
8
Technonetzwerk Berlin (1999): Drug-Checking-Konzept für die Bundesrepublik Deutschland, Berlin, S. 36.
9
Henning Schmidt-Semisch (1992): Zwischen Sucht und Genuß - Notizen zur Drogenerziehung, in: Jürgen Neumeyer, Gudrun Schaich-Walch (Hrsg.): Zwischen Legalisierung und Normalisierung, Marburg, S. 144 f.
Vergl.: Henning-Schmidt-Semisch (1994): Die prekäre Grenze der Legalität. DrogenKulturGenuß, München