Impressionen aus der Technokultur
zu Drug, Set und Setting in Berlin

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3. Berlin zwölf Jahre nach der Maueröffnung

Als Berlin Hauptstadt der DDR war, sprudelten sowohl im Osten als auch im Westen die Brunnen in den Parks und auf öffentlichen Plätzen. Zwölf Jahre, nachdem Berlin Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland wurde, sprudeln in der Stadt fast ausschließlich nur noch Brunnen, die einen privaten Sponsor haben, und das sind vor allem Brunnen in Citylage. Brunnen in den Randbezirken und in Wohnquartieren sind zumeist versiegt und werden nicht selten nur noch als Abfallplatz mißbraucht. Dieses Beispiel zeigt symptomatisch, wie sich die Lebensqualität in Berlin in den letzten Jahren verschlechtert hat.

 

3.1. Berlin machte immense Schulden – jedoch nicht für die Kultur

Kurz nach der Wende zu Beginn der 90er Jahre hatte das Land Berlin etwa acht Milliarden Euro (15,8 Milliarden Mark) Schulden. Aktuell ist Berlins Schuldenberg auf 39 Milliarden Euro (76,28 Milliarden Mark) angestiegen. In gut zehn Jahren ist Berlins Schuldenlast um 31 Milliarden Euro (60,6 Milliarden Mark) angestiegen. Pro Einwohner der Stadt sind das knapp 9.000 Euro (17.600 Mark). Trotz dieser massiven Schuldenanhäufung hat die Lebensqualität für viele Berliner überhaupt nicht zugenommen, für viele Kulturschaffende hat sie sogar drastisch abgenommen, da an der Kultur am meisten gespart wurde. Gab es nach der Wende zahlreiche große leerstehende Hallen, die für kulturelle Zwecke genutzt werden konnten, so gibt es heute kaum noch bezahlbare Räumlichkeiten, in denen man große Parties feiern kann. Berlin als Stadt hat nichts in die aufstrebende Kultur investiert, sondern hat tatenlos der Vertreibung der Szene aus den Tanztempeln zugeschaut, ja zuweilen diesen Verdrängungsprozeß sogar befördert.

 

3.2. Berlin – ungeliebte Hauptstadt der Deutschen?

Zu Mauerzeiten bekam das Land West-Berlin etwa 10,2 Milliarden Euro (20 Milliarden Mark) pro Jahr, um wirtschaftlich überleben zu können. 1995 spendierte der Bund nur noch 5,6 Milliarden Euro (elf Milliarden Mark) an das inzwischen vereinigte Berlin und fuhr diese Unterstützung in den vergangenen Jahren auf null zurück. Keine Region hätte nach Meinung von Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) eine solch ›harte Zäsur‹ ohne Probleme verkraften können, zumal durch die Wiedervereinigung extreme Kosten auf die Stadt zukamen.

In Berlin investierte der Bund zwar viele Milliarden für den Neubau oder für die Instandsetzung von Regierungsgebäuden und für eine moderne Infrastruktur für den aus Bonn nach Berlin zugezogenen Beamtenapparat sowie in diverse Prestigeobjekte, doch für die Berliner selbst blieb kein Geld übrig. So bröckelt der Putz mehr denn je in den Kindertagesstätten und Schulen, die Universitäten müssen Professoren entlassen und Fachbereiche schließen. Der Bund läßt seine Hauptstadt verkommen.

 

3.3. Ratten, Müll, Gesindel und die rote Karte für die CDU

Klaus Landowsky, früherer Fraktionschef der CDU und früherer Vorstandschef der Berliner Hyp (Tochtergesellschaft der mehrheitlich landeseigenen Bankgesellschaft Berlin) sagte 1997 in Bezug auf die zur Love Parade nach Berlin strömenden Raver aus aller Welt und den Müll, den diese nach der Tanzparade hinterlassen: "Es ist nun einmal so, daß dort wo Müll ist, Ratten sind und daß dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muß in der Stadt beseitigt werden." Damals ahnte Landowsky sicher nicht, daß er selbst für die Verwahrlosung der Stadt mitverantwortlich gemacht und als ›Gesindel‹ aus dem politischen Leben beseitigt werden wird.

Im Januar 2001 tauchten bei der Berlin Hyp, an deren Spitze Landowsky stand, Risiken aus einem 300-Millionen-Euro-Kredit an die Aubis-Gruppe, einer Bau- und Immobilien Firma, auf. Im Februar 2001 bestätigte Landowsky die Annahme einer Barspende für die CDU von einem Aubis-Manager, die nicht korrekt verbucht worden war. Im März mußte Landowsky als Vorstandschef der Berliner Hyp zurücktreten. Neue Wertberichtigungen bei dem Institut und der Landesbank wurden bekannt und es zeichnete sich ein Verlust in Milliardenhöhe ab. Im Juni 2001 zerbrach unter anderem in Folge der Haushaltskrise durch die Schwierigkeiten bei der Bankgesellschaft die CDU/SPD-Koalition. SPD und Grüne bildeten mit der Duldung der PDS einen neuen Senat. Die CDU wurde in die Oppositionsrolle verdammt. Das Abgeordnetenhaus stellte zur Rettung der Bankgesellschaft zwei Milliarden Euro (3,9 Milliarden Mark) für eine Kapitalerhöhung der Bank in den Nachtragshaushalt. Im September wurde ein ehemaliger Mitarbeiter der Aubis-Gruppe tot im Grunewald aufgefunden. Der als Zeuge gesuchte Mann hatte vor seinem Verschwinden davon gesprochen, daß er "sich bedroht von den Handelnden bei Aubis" fühlte. Die Staatsanwaltschaft führte inzwischen mehr als 70 Ermittlungsverfahren wegen Geschäften der Bankgesellschaft.

Vielen Berlinern wurde im Sommer 2001 klar, wer in dieser Stadt die schlimmsten ›Ratten‹ die zum übelsten ›Gesindel‹ gehören, sind. Bei den vorgezogenen Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus am 21. Oktober 2001 mußte die CDU erdrutschartige Verluste hinnehmen. Im sozial schwächsten Bezirk Berlins, Friedrichshain-Kreuzberg, in dem die meisten Klubs der Technoszene angesiedelt sind, büßte die CDU die Hälfte ihrer Stimmen ein.

 

3.4. Berlin, eine gespaltene wiedervereinigte Hauptstadt

Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im Oktober 2001 gewann die PDS im früheren Ost-Berlin (1,3 Millionen Einwohner) sämtliche 32 Direktmandate, im früheren West-Berlin jedoch kein einziges. Der Ostteil der Stadt hielt der PDS nach wie vor die Treue. Fast jeder zweite Urnengänger zwischen dem mondänen Kiezbezirk Prenzlauer Berg und den Plattenbausiedlungen in Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen machte sein Kreuz bei der Partei der Demokratischen Sozialisten. In den Bezirken Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf erzielten 12 der 14 von der PDS aufgestellten Direktkandidaten nicht nur die relative, sondern auch die absolute Mehrheit mit Stimmanteilen von bis zu 56 Prozent.

Im Westteil der Stadt (2,1 Millionen Einwohner) ging ein Direktmandat an die Grünen (Bezirk Kreuzberg), 19 an die CDU und 26 an die SPD. Im eher kleinbürgerlichen Reinickendorf gewann die CDU sogar alle sechs Direktmandate. Im Westteil der Stadt erreichte jedoch kein einziger Direktkandidat die absolute Mehrheit.

Insgesamt kam die SPD auf 29,7 Prozent, die CDU auf 23,8 Prozent, die PDS auf 22,6 Prozent, die FDP auf 9,9 Prozent und die Grünen auf 9,1 Prozent.

 

3.5. Ein zum Glück gescheiterter Versuch: Die Ampelkoalition

Nach Sondierungsgesprächen begannen die Spitzenvertreter von SPD (Parteifarbe Rot), FDP (Parteifarbe Gelb) und Grünen am 8. November 2001 mit den Koalitionsverhandlungen für eine Ampelregierung. Der Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte zuvor mit Nachdruck eine deutliche Vorliebe für diese Richtung erkennen lassen. Aufgrund der Entscheidung in der Hauptstadt eine Ampelkoalition zu etablieren, hatte sich in den Party-Szenen allerdings Unmut breit gemacht, da der Ostteil der Stadt einmal mehr durch eine Regierung westlich dominierter Partien ausgegrenzt werden sollte und die Stadt wieder mehr vom Geist der Spaltung als von einem Geist der Wiedervereinigung gezeichnet worden wäre. Nach der Wende wurden die Szenen von einem Geist des Glaubens an eine bessere Zukunft beflügelt und es entstand ein Berlin, das vielerorts euphorisch als Techno-Hauptstadt gefeiert wurde.

Im neuen Jahrtausend war sowieso vielen auf Grund der sozialen Misere nicht mehr nach Party und Feiern zumute, so daß eine Trendänderung in den Drogenkonsummuster zu beobachten war. Sozial und gesellschaftlich Ausgegrenzte und Frustrierte neigen eher zu Flucht- und Dumpf- Drogen und weniger zu psychedelischen oder entaktogenen Substanzen. Es kam somit mit einem signifikanten Anstieg des Alkohol- und Opiatkonsums sowie zu einer Zunahme an gewalttätigen Szenen, in denen vor allem (Meth-)Amphetamin und Alkohol konsumiert werden.

Einige Klubs an der Ausgehmeile Mühlendamm in Berlin Friedrichshain haben sofort nach der fatalen Entscheidung der SPD-Mehrheit, eine Ampelkoalition bilden zu wollen, vorsorglich ihr Personal an der Tür und auf den Parkplätzen verstärkt, da Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gangs zu befürchten waren. Die bislang beobachteten verbalen Streitigkeiten und manchmal auch äußerst handfesten Auseinandersetzungen zwischen den Kindern der reichen Wohlstandsbürger aus den von CDU-Mehrheiten geprägten Stadtteilen Reinickendorf, Zehlendorf, Steglitz und Dahlem, die vor allem Kokain schnupfen und Hochprozentiges trinken, und den Autonomen aus Kreuzberg, Mitte und dem Prenzlauer Berg, die vorwiegend LSD, Ecstasy und Amphetamin konsumieren, und den aus den Plattensiedlungen der östlichen Bezirke stammenden ›Techno-Nazis‹, die sich viel Alkohol und Metamphetamin einverleiben, waren in letzter Zeit im Zunehmen begriffen. Eine Ampelkoalition und die damit verbundene Ausgrenzung der Ost-Berliner ließ Befürchtungen einer weiteren Eskalation der Gewalt im Umfeld der Klubs aufkommen. Auf die Hilfe der Polizei ist erfahrungsgemäß kaum zu zählen, da diese bei Ausschreitungen seitens rechtsgerichteter Jugendlicher zumeist erst nach den dramatischen Höhepunkten anrückt – so klagten zumindest die meisten der befragten Türsteher und Parkplatzwächter.

Zum Glück scheiterten die Koalitionsverhandlungen am 4. Dezember 2001 und alle drei beteiligte Parteien erklärten die Verhandlungen für beendet. Die SPD entschied sich nun für Verhandlungen mit der PDS. In der Folge wurde dann am 17. Januar 2002 ein rot-roter Senat gewählt. In großen Teilen der Szene im Party-Kiez am Mühlendamm in Friedrichshain wurde diese Entwicklung mit großer Genugtuung aufgenommen.

 

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